Station 3 - Evangelische Kirche Nussbaumen
Es hagelt Kritik - Vom Zehnten im Mittelalter zu den Steuern in der Neuzeit
Podcast zur Station in Nussbaumen
Familie Lehmann ist wieder einmal zu Fuss unterwegs. Heute kommen sie bei der evangelischen Kirche in Nussbaumen vorbei. Dort erzählt ihnen der Untervogt Burkart Rüttimann, wie er den Ittinger Sturm erlebt hat. (Dauer: 16' 14'')
Historische Hintergrundinformationen zu Nussbaumen
Burkart Rüttimann, der Untervogt von Nussbaumen, hat eine undankbare Aufgabe. Er muss im Auftrag der Stadt Zürich die Steuern eintreiben. Der sogenannte Zehnte ist aber nur eine der Lasten, die auf Grund und Personen liegen. Hinzu kommen weitere Gebühren, Steuern und Dienstleistungen, die erbracht werden müssen. Kein Wunder, dass bei den Leuten eine grosse Wut über den Zehnten aufkommt, besonders gegenüber Kirchen und Klöstern.
Der Zehnte wird schon im Alten Testament erwähnt: Vom ganzen Ertrag deiner Saat sollst du den Zehnten geben, von dem, was auf dem Feld wächst, Jahr für Jahr (5. Mose 14,22).
Im Mittelalter bestimmen die Grundherren, welchen Anteil die Bauern entrichten müssen. Gewöhnlich macht diese Abgabe in Naturalien einen Zehntel des Ertrages aus. Es kann aber auch sein, dass jeder dritte Eimer Wein oder ein Fasnachts-Huhn verlangt werden. Der Zehnte ist auch für die Kirche eine wichtige Einnahmequelle. Der grösste Teil fliesst in Lohn- und Unterhaltskosten für Kirchen und Klöster. Nur ein geringer Teil setzt die Kirche für Bildung, Gesundheitswesen und Armutsbekämpfung ein. Der Zehnte ist ständiger Kritik ausgesetzt. Die Bauern und Handwerker sehen ihn als eine existentielle Belastung. Sie macht die Armen ärmer und die Reichen reicher.
Diese Abgabe gehört abgeschafft! Die Menschen verstehen die Botschaft des Evangeliums auch als eine Befreiung vom Steuerjoch. Die Stammer und Nussbaumer verweigern in den Jahren 1523, 1524 und 1525 den Zehnten gänzlich. Das wiederum führt zu Ärger beim Rat in Zürich und dem Abt von St. Gallen. Es kommt zu Verhandlungen, aber letztlich zeigen die Gutsherren, wo der Bartli den Most holt: Sie machen genauere Kontrollen. Die Bauern liefern widerwillig die geforderten Mengen wieder ab.
Die Kritik am Zehnten führt dazu, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts der Zehnte abgelöst wird. Allein der Staat verwaltet die Abgaben. Wer zur Ablieferung des Zehnten verpflichtet ist, muss sich aus den alten Besitzrechten «auskaufen». Die Folgen davon sind Abgaben wie Einkommenssteuer, Vermögenssteuer und Mehrwertsteuer. Die Diskussion über Höhe und Verwendungszweck der Abgaben ist bis heute geblieben.
Auch die Pfarrpfründe - Grundstücke, die der Kirche gehören - werden anfangs des 19. Jahrhunderts aufgelöst. Die Pfründe in Form von Äckern, Weinbergen, Wald und Häusern wurden im Mittelalter gestiftet. Sie sicherten den Lebensunterhalt der Priester und Pfarrer. Der junge freie Kanton Thurgau nimmt diese Grundstücke ganz unter seine Fittiche. Damit ist die erste Staatskirche nach unserem heutigen Verständnis geboren. Bis zum neuen Kirchengesetz von 1869 ist nun der Staat für die Pfarrlöhne zuständig. Die Verantwortung für die Kirchenbauten liegt ebenfalls beim Staat.