Station 1 - Evangelische Kirche Burg bei Stein am Rhein
In aufgeheiztem Klima - Nächtlicher Überfall auf den Pfarrer von Burg
Podcast zur Station in Burg
Familie Lehmann ist wieder einmal zu Fuss unterwegs. Die Eltern, Peter und Sandra Lehmann, zusammen mit ihren Kindern Elena (15) und Manuel (12). Sie sind auf den Spuren des Ittinger Sturmes. Heute wollen sie die Kirche in Burg bei Stein am Rhein entdecken. (Dauer: 10' 24'')
Historische Hintergrundinformationen zu Burg
1524 ist Hans Öchsli Leutpriester (Priester für Predigt und Seelsorge) in der Kirche Burg und in der Vitus-Kapelle im Unterdorf in Eschenz. Beide Kirchen gehören dem Kloster Einsiedeln. Das Kloster hat die Kirche Burg vor 30 Jahren gekauft und eben erst für viel Geld renoviert: ein längeres Kirchenschiff, ein neues Dach über dem Chor und ein Glockentürmchen. Alles schönste Handwerksarbeit, solide gebaut.
Das Kloster bestimmt den Priester „Uf Burg“ und kommt für seinen Lebensunterhalt und das Pfarrhaus auf. Neben dem Kloster Einsiedeln als geistliche Herren haben auch verschiedene weltliche Herren «Uf Burg» etwas zu sagen. Die Kirche steht beim Brückenkopf gegenüber von Stein am Rhein, in der Gemeinen Herrschaft Thurgau. Das ist zwar eidgenössisches Untertanengebiet, aber in Grunde genommen ein herrschaftlicher «Flickenteppich».
Da ist die freie Reichsstadt Stein am Rhein. Sie hat „Uf Burg“ das niedere Gerichtsrecht, d.h. sie verhängte Geldbussen und geringe Körperstrafen. Für die hohe Gerichtsbarkeit, wenn es z.B. um die Todesstrafe geht, ist der Landvogt in Frauenfeld zuständig. Sein Name: Joseph Amberg aus dem Kanton Schwyz. Und auch Zürich macht als Schutzmacht von Stein am Rhein seinen Einfluss geltend.
Hans Öchsli kennt Ulrich Zwingli aus Einsiedeln. Zwingli war vor seiner Zeit in Zürich am Kloster Einsiedeln als Leutpriester tätig. Die beiden sind gut befreundet. Diese Verbindung und die Nähe zu Zürich macht Öchsli schon früh zu einem Sympathisanten der Reformation.
Hans Öchsli kennt seine Leute. Er weiss genau, weshalb sie unzufrieden sind und wo der Schuh drückt. Seine reformatorischen Predigten finden Anklang. Die Leute nehmen den Reformationsgedanken auf und schliessen sich dem „neuen“ Glauben an. Hans Öchsli gehört allerdings nicht zu den Scharfmachern. Das belegen die wenigen historischen Quellen über ihn. Er geht umsichtig vor. Während in Stammheim am 24. Juni 1524 Bilder und Kreuze zerstört werden, wählt Hans Öchsli einen sorgsameren Weg. Er lässt zwar in den darauffolgenden Wochen die Heiligenbilder aus den Kirchen Burg und Eschenz entfernen. Sie werden aber nicht zerstört, sondern auf den Dachböden der beiden Kirchen eingelagert.
Leider nützt sein umsichtiges Vorgehen in diesem aufgeheizten Klima wenig. Nicht in Stammheim will der katholische Landvogt von Frauenfeld ein Exempel statuieren, sondern „Uf Burg“. Hans Öchsli ist vorgewarnt und übernachtet eine Woche lang im Freien. Als er sich wieder etwas sicherer fühlt, und in der Nacht auf den 17. Juli in seinem Haus schläft, schlägt der Landvogt im Schutz der Dunkelheit zu: 30 Knechte nehmen Öchsli gefangen und verschleppen ihn nach Frauenfeld. Dem Pfarrer gelingt es vor der Festnahme, aus dem Fenster über den Rhein um Hilfe zu schreien. Viele hören ihn, sammeln sich und eilen ihm zu Hilfe. Der Sturm nimmt seinen Lauf.
In einem aufgeheizten Klima bergen manchmal auch aufrichtiges Reden und umsichtiges Vorgehen ein grosses Risiko!